Es ist früh am Morgen. Sehr früh. Fünf oder sechs Uhr. Wir haben eine lange Bahnfahrt hinter uns, die Motorräder sind losgezurrt und wir schieben sie vorsichtig von der Zugrampe auf die Straße.
Mir ist ein bisschen kalt, die Beine fühlen sich noch etwas steif an, es weht kaum ein Wind hier oben in den Alpen. Ich bin etwas nervös, ob das Motorrad anspringt. Obwohl, nein. Eigentlich bin ich unsicher, ob ich die schmalen Pässe und engen Haarnadelkurven gut werde fahren können.
Noch etwas müde, aber jetzt geht es los. Der Helm fühlt sich in vertrauter Weise auf dem Kopf an, die Lederhose schmiegt sich eng an die Oberschenkel. Der Motor tuckert in seinem eigenen Rhythmus. Ich fahre ein paar Schlenker, bekomme ein Gefühl für das Handling. Noch konzentriere ich mich nur auf die Straße, nehme nichts wahr als den Straßenrand und die schroffe Bergwand neben mir. Ein Schild mit dem Namen des Passes und den Höhenmetern zieht vorbei.
Und dann passiert es. Wir biegen um eine Kurve und mir öffnet sich ein Blick. Wir halten beide an, müssen einfach anhalten. Meine Füße finden den Boden, erden mich. Bergluft strömt in meine Lunge. Ich kann nicht anders, als tief einzuatmen. Die Luft ist kühl, schmeckt nach Wolken und Edelweiß.
Eine tiefrote Sonne schwebt ganz knapp über den Bergen, verleiht ihnen einen Hauch von Magie.
Erhabenheit – das ist das Wort, das mir sofort in den Sinn kommt. Ich fühle eine Träne an meiner Wange.
Diese Berge interessiert nicht, was wir Menschen gerade denken oder fühlen. Sie sind einfach da.
So – will ich auch sein.
Ute (56), Münster
herzblut floss gleich hinter der nächsten Kurve *
* dieser Text entstand im Rahmen der zweiten herzblut-Werkstatt am 12.10.19
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Thomas (Freitag, 01 Mai 2020 13:29)
ein Text, der nach "draußen" schmeckt, nach Wind und Freiheit und Leitplanke.
Mit offenem Visier, mutig und pur.
Ab in die Natur, Teil haben, Teil sein!