#24 Der Abend vor dem 1.Mai

Ende der 50iger Jahre! Unser Dorf war ein typisches Bauerndorf im Rheinland: Vierkanthöfe mit  Kuh- und Schweineställen, die man direkt von der Küche aus betreten konnte. So ein stattlicher Hof stand am Ende unserer Straße. Große Scheunen und Schuppen bildeten ein Karree um den mit Blumenkästen geschmückten Hof, und ein Rosenbogen mit rosafarbenen Kletterrosen führte direkt in den riesigen Nutzgarten.

Die Bäuerin, Frau Mertens, hatte ein Herz für uns Kinder, und so war dieser Bauernhof ein Spieleparadies für uns alle.

Nachmittags packte sie einen Korb mit belegten Broten und süßen, selbst gebackenen Hefebrötchen, in unserer Gegend „Kröttchen“ genannt, füllte Malzkaffee in eine große emaillierte Kanne  und dann durften wir ihrem Mann und seinen Landarbeitern die Vesper zum Feld bringen.  Das war eine große Ehre für uns, die wir vielleicht gerade einmal 7 oder 8 Jahre alt waren, und besonders erfreut waren wir, wenn wir mit den Männern am Feldrand sitzen und essen durften.

Zurück ging es dann durch Streuobstwiesen und während die Jungen auf die Bäume kletterten, saßen wir Mädchen im Gras und pflückten weiße Gänseblümchen, gelbe Schlüsselblumen und zartlilafarbenes Wiesenschaumkraut, denn morgen war der 1. Mai, und da mussten wir ja noch den Blumenschmuck für unsere häuslichen Maialtärchen binden. Auch das war in meiner Heimat Brauch, im Mai eine kleine Marienstatue aufzustellen und mit einer Kerze und Wiesenblumen zu schmücken.

Als wir mit unseren hübschen Sträußen nach Hause gingen, vorbei an Weißdornhecken, Jasminbüschen und Fliederbäumen, erfüllten mich all diese Düfte, die Farben und die warme Frühlingssonne mit einem derartigen Glücksgefühl ,  das ich noch nie erlebt hatte und das ich unbeschreiblich fand.

Ja! Morgen ist der 1. Mai, und da wird auf dem Dorfplatz der Maibaum aufgestellt, und die Maikönigin wird bestimmt ein langes Kleid tragen und eine Krone auf dem Kopf haben.  Wie ist das Leben schön!

 

Veronika Katharina (70), Setterich

herzblut floss in Strömen, duftend, bunt und voller Leben

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Kommentare: 1
  • #1

    Thomas (Montag, 16 März 2020 10:40)

    Eine Zeitreise, so intensiv, dass ich es riechen kann, dieses Dorf in den 50ern und auch dieses Glück.
    DAS ist, was Geschichten können...
    Wunderbar!