„Nein, nein, nein!“
Das letzte „Nein“ traf mich meistens mitten ins Gesicht. Es reichte, um meinen Widerstand verstummen zu lassen und zu vertagen. Friede, Freude, Eierkuchen. Bis zum nächsten Mal.
Ich hielt es aus und vor allem behielt ich alles für mich.
Freunde hatte ich nicht, so etwas wie echte Freundschaft stand mir nicht zu.Mich gab es offiziell mit privatem Inhalt gar nicht. Meine Hülle ging in die Schule. Für Außenstehende blieb ich innerlich leer.
Lücken füllte ich routiniert mit Lügen. Aber für mich waren es längst Halbwahrheiten. Manche Details hatte ich mir über die Jahre so sehnsüchtig ausgemalt, dass sie mir wie selbstverständlich über die Lippen kamen.
In der Schule gab es ihn. Mein erstes wirkliches Licht.
Ihn in den Pausen auf dem Schulhof händchenhaltend mit einer Bilderbuchschöhnheit zu sehen, brach mir fast weniger das Herz, als ihn am Boden zu sehen, den leeren Blick auf seine Turnschuhe gerichtet, als es mit der Bilderbuchschönheit irgendwann vorbei war.
Es wäre zu schön gewesen, in ihm meinen Retter in der Not zu wähnen, und doch war ich zu schwach und voller Angst, um für dieses Märchen zu kämpfen. Jede Hecke wäre unüberwindbar gewesen, jeder Drache würde zwei neue Köpfe bekommen. Es war aussichtslos.
Ich lebte für den Blick seiner leuchtend blauen Augen. Den für mich besten Moment des Tages wählte ich sorgfältig aus. Nicht zu früh, nicht zu oft. Braune Augen suchten und fanden schließlich blaue Augen. Ein kurzes Zücken der Braue als Gruß. Von außen flüchtig. Für mich ein wärmendes Licht im Dunklen. Und in meiner Magengegend.
Er hatte bald ein neues Zuckerpüppchen an seiner Seite.
Ich verlor nichts, weil ich sowieso nichts besaß.
Bis auf die innere Leere. Das Tückische dran ist, dass sie einen auf Dauer auffrisst. Ich habe buchstäblich mit gleicher Waffe dagegengehalten. Ich füllte und füllte, meine Hülle wuchs und schwoll, nur ich wurde immer leiser.
Seine Augen blieben. Bis wir unterschiedliche Wege gingen.
Ich machte mich daran, allein die Hecken und Drachen zu bezwingen, die mich davon abhielten zu leben.
Ein Glück.
Ob diese Augen auch herumliegende Socken übersehen oder am vollen Mülleimer vorbeigucken, habe ich mich nie fragen müssen.
Cordelia (40), NRW
herzblut floss über Stock und über Stein. selbstermächtigt, nicht blauäugig.
Kommentar schreiben